ASMZ | Sicherheit Schweiz

Was von der einst stolzen Artillerie übrig bleibt

Ernesto Kägi

29.04.2024

Die Schweizer Armee hat noch vier Artillerieabteilungen, ausgerüstet mit über 60-jährigen Panzerhaubitzen M109 und ebenso betagten Führungspanzern M113. Wie heute damit geübt wird, zeigt die Art Abt 16 im Wiederholungskurs.

Mit einem Scharfschiess-Wiederholungskurs auf dem winterlichen Simplonpass und mit einer dreitägigen Einsatzübung in den Räumen Wallis, Chablais und Bière hat die Zürcher Artillerieabteilung 16 ihren diesjährigen Fortbildungsdienst der Truppe rund um die Ostertage 2024 absolviert.

«Mach das, was du kannst, mit dem, was du hast, dort, wo du bist!» Mit diesen markanten Worten, in Anlehnung an ein Zitat von General Dwight Eisenhower, beendete Brigadier Christoph Roduner, Kommandant der Mechanisierten Brigade 11, die Besprechung nach der dreitägigen Volltruppenübung VIAFIER auf dem Waffenplatz Bière. Darin inbegriffen waren zwei Scharfschiessen auf dem Simplon und in Bière sowie dazwischen eine für die betagten M109-Panzerhaubitzen beachtliche taktische Verschiebung vom Wallis über das Chablais, Gros-de-Vaud bis in die Region Bière. Lediglich von Turtmann bis Aigle wurden die Geschütze bahnverladen. «Die Artillerieabteilung 16 beherrscht das lösungsorientierte Handeln, auch unter widrigen Umständen und mit altem Stahl.» Ein wohlverdientes Kompliment des vorgesetzten Kommandanten, wie sich der Autor während zwei Tagen selbst überzeugen konnte.

Abteilung mit starkem Milizfokus

Die Zürcher Artillerieabteilung 16 hatte als Kommandanten und Stabsoffiziere von jeher viele Milizoffiziere eingeteilt. Das ist auch heute noch so. Lediglich der Abteilungskommandant, Oberstleutnant Andres Knecht, beruflich Kommandant-Stellvertreter der Panzer/Artillerie-Offiziersschule Thun, und ein Stabsadjutant im Abteilungsstab sind Berufsoffizier beziehungsweise -unteroffizier. Alle Batteriekommandanten und Offiziere des Stabes sind hoch motivierte Milizler. Das ist wahrscheinlich die Basis des ganz besonderen Esprit, den die 16er ausmachen. Das färbt über die Unteroffiziere bis zu jedem Mannschaftsangehörigen ab. Kein Kastendenken zwischen Offizieren und Mannschaft mehr, wie es gerade bei der Artillerie in früheren Jahren bekannt war. Man begegnet sich auf Augenhöhe, spricht die gleiche Sprache und richtet sich streng auf die Auftragserfüllung aus.

Wenig erstaunlich ist, dass es bei der Art Abt 16 praktisch keine personellen Nachwuchssorgen in den Offiziersfunktionen gibt. Gemäss Brigadekommandant wird gegenwärtig lediglich ein Quartiermeister für den Abteilungsstab gesucht. Mit den vier Kommandanten der Geschützbatterien führte die ASMZ während der Übung VIAFIER längere Gespräche mit dem Ziel, zu vernehmen, was im Personellen, Materiellen und bezüglich Munition ihre grössten aktuellen Herausforderungen sind. Wir sprachen mit Hauptmann Mickey Fürer, Kommandant Art Bttr 16/1, Prozess-Ingenieur ETH, der seinen vierten WK absolvierte, Hauptmann Adrian Ferstera, Kommandant Art Bttr 16/2, Consultant Banking + IT, ebenfalls in seinem vierten WK, Hauptmann Josuah Rüttimann, Kommandant Art Bttr 16/3, Metallbauer und Service-Monteur, der seinen zweiten WK absolvierte, sowie dem im ersten Kommandojahr stehenden Hauptmann Dominic Steigmeier, Art Bttr 16/4, Architekt ETH/Bauherren-Berater.

Altes Gerät

Mit je rund 60 Jahren auf dem Buckel sind die Panzerhaubitze M109 und der Führungsschützenpanzer M113 wahrlich in die Jahre gekommen (siehe Box). Ohne die systematische Wartung durch die Logistikbasis der Armee und den bewundernswerten «Rundum-die-Uhr-Schichteinsatz» der Log Bttr 16 wäre dies nicht so, was gleichzeitig ein grosses Kompliment ist. «Dank unserer Logistikbatterie geben wir die Geschütze jeweils in besserem Zustand zurück, als wir sie zu Beginn des WK fassen», meinte einer der Geschützbatterie-Kommandanten. Die Art Log Bttr 16 wird durch Hauptmann Pascal Neff geführt; er absolvierte seinen dritten WK und ist neu Generalstabs-Anwärter. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen. Zuständig ist seine wichtige Batterie für die gesamte Einsatzlogistik inklusive Nachschub von Munition und Treibstoff sowie die Instandhaltung von über 200 Fahrzeugen und das Material der Abteilung.

Auf der grossen Schlussübung wurde die Strecke Turtmann−Aigle per Bahn zurückgelegt, um dies auch wieder einmal zu üben. Das erwies sich bei SBB und Truppe als bitter notwendig, wenn man gesehen hat, mit wie vielen Problemen gekämpft wurde, bis das Entladeteilstück vom Bahnwagen auf den Asphalt richtig montiert war! Der Rest der Strecke vom Simplonpass bis nach Bière legte die ganze Abteilung auf der Autobahn und auf Kantonsstrassen zurück, mit einer speziellen Auftankübung der Logistikbatterie auf einem Autobahnrastplatz oberhalb Villeneuve. Dabei wurde eine mobile Zisterne mit 9000 Litern Fassungsvermögen eingesetzt, welche auf einem speziellen Lastwagen transportiert wird.

Die vier Geschützbatteriekommandanten waren gespannt, ob die 24 M109 ohne grössere Pannen tatsächlich in Bière eintreffen würden. Und siehe da, sie kamen an, wenn auch mit kleineren technischen Unzulänglichkeiten, etwa unkontrolliertem Schlingern auf der Fahrbahn wegen ungenügender Kettenspannung. Fürs Scharfschiessen auf dem Simplonpass wurden lediglich die Geschütze von zwei Batterien mitgenommen und nach Halbzeit ohne weitere Verschiebung ausgetauscht. Auch das Schiessen funktionierte einigermassen, von mehrfachen Ausfällen des Navigationssystems und von Verschlussproblemen abgesehen.

Wegen Problemen mit den Antriebswellen und daraus resultierender Unfallgefahr waren gegen Ende des vergangenen Jahres sämtliche M113-Schützenpanzer vorübergehend aus dem Verkehr genommen worden und werden nun nach und nach repariert (siehe ASMZ 1+2/2024). Das stellte die Art Abt 16 vor grosse Probleme. Statt Schützenpanzer gab es Pneufahrzeuge. Für die Feuerleitstelle (INTAFF, Transit und Relais) wurden Hardtop-G-Klassen und Hardtop-Duros (INTAFFKommando-Duro) für den Kommandoposten eingesetzt. Unentbehrlich für ein Artillerieschiessen ist der Fargo-Feuerleitrechner. Dieser ist allerdings fest im M113-Führungsschützenpanzer eingebaut. Daher wurden diese Gefährte eigens per Tieflader herangeführt und stationär auf dem Simplon und in Bière für den scharfen Schuss eingesetzt. Eine reichlich komplizierte Sache, welche vor allem für die Art Flt Bttr 16, welche die Führungseinrichtungen betreibt und die Schiesskommandanten einsetzt, sehr herausfordernd war. Diese Batterie steht unter dem Kommando des Miliz-Hauptmanns Dominic Brunner, der seinen zweiten WK leistete. Brunner hat Brand Management studiert und arbeitet aktuell als Marketing &Sales Manager.

Im Hardtop-Duro finden nicht alle Leute Platz, die es braucht, um ein Artilleriefeuer zu leiten. Normalerweise geht dies nur mit zwei M113, die heckseitig zusammengestellt und überdeckt werden. Da diese Führungsschützenpanzer mit dem Fargo-Feuerleitrechner aber eben nur stationär eingesetzt werden konnten, verkam der taktische Übungsteil im Chablais zu einer rein technischen Übung. Unhaltbare Zustände nach dem Motto «Machen wir uns doch ein X für ein U vor!», wie es einer der Geschützbatteriekommandanten ausdrückte. Immerhin gibt es auf dem Waffenplatz Bière Schiess- und Fahrsimulatoren − bei allen Realitätseinschränkungen, welche so ein Simulator im Vergleich mit einer Echtzeitverschiebung und einem Schiessen mit scharfem Schuss hat.

Personelle Unterbestände

Zwar unternimmt das Personelle der Armee (J1) alles, um den Batteriekommandanten verbesserte Pisa-Zugriffsmöglichkeiten und eine Vakanzenminimierung, auch bei Spezialistenfunktionen, zu gewährleisten. Doch im Gespräch mit den vier Kommandanten wird klar, dass das Personelle zwischen und vor einem WK immer komplexer wird. Es braucht zunehmend mehr Gespräche mit Gesuchstellern für WK-Dispensationen, unkonventionelle Lösungen mit Arbeitgebern und Studienlehrgängen, damit wenigstens 80 Prozent des OTF-Bestandes schliesslich «auf der Matte stehen», wie es ein Kommandant ausdrückt. Einer bemerkte, er würde Studenten lediglich für Prüfungen und wichtige Pflichtlektionen dispensieren, ansonsten jedoch individuelle Teildienstleistungslösungen vereinbaren. Für geschäftliche Besprechungen gibt er vor Ort Zeit und Raum, um eine wichtige Sitzung online übers Netz abzuhalten.

Auch im Küchenbereich, wo seit Längerem chronisch Küchenchefs und Küchengehilfen fehlen, werden unkonventionelle Lösungen gesucht. So legen oft zwei Batterien ihre Küchen zusammen. Schade finden hier die Kommandanten einhellig, dass geeignete, willige Hobbyköche nicht unbürokratisch in der Küche eingesetzt werden dürfen. Bauchschmerzen verursachen den Kommandanten auch die vielen unplanbaren und kurzfristigen Abgänge zum Zivildienst. Ein Beispiel: Auf dem Führungspanzer einer Batterie musste eine Schlüsselfunktion mit einer Ad-hoc-Ausbildung von einem Tag auf den andern neu besetzt werden, weil der entsprechende Soldat kurzfristig vor Beginn des WK in den Zivildienst abgesprungen war. «Aber da können wir nichts machen, das ist halt politisch …!», meinte einer der Kadis.

Hier fragt sich, ob das Ziel einer jährlichen Reduktion von 6000 auf rund 4000 Zivildienstabgänge mit den sanften Massnahmen, die jetzt geplant sind, realistisch ist (siehe ASMZ 4/2024). Die vier Batteriekommandanten sind dezidiert für eine stringentere Gangart gemäss Vorschlag des Verbandes Militärischer Gesellschaften: Totalrevision des Zivildienstes, Wiedereinführung der Gewissensprüfung, rasche Umsetzung der Sicherheitsdienstpflicht mit Zusammenlegung des Zivilschutzes mit dem Zivildienst zum sogenannten Katastrophenschutz und eine rasche Aufhebung des Bundesamtes für Zivildienst.

Knappe Munitionsdotationen

Freudestrahlend berichteten zwei der vier Geschützbatteriekommandanten, sie hätten noch nie mit so viel Stahlgranaten üben können wie dieses Jahr auf dem winterlichen Simplonpass. Bei genauerem Nachfragen stellte sich dann aber heraus, dass die ersten beiden Batterien infolge Schnee und Nebel nur sehr wenige Schiessgelegenheiten hatten und deren Dotationen durch die beiden anderen Batterien, welche bei strahlendem Winterwetter üben konnten, verwendet wurden.

Lediglich auf dem Simplonpass und in den Säntisalpen kann mit Stahlgranaten geschossen werden, in Bière nur mit Sonderbewilligung und in Frauenfeld gar nicht. Dort kommen Explosiv-Übungsgranaten zum Einsatz. Deren Zuteilung muss jedoch sorgsam auf die Schulen und WK-Einheiten erfolgen, da sie als Folge des auslaufenden M109-Systems nicht mehr produziert werden und somit langsam rar werden. Und mit Blick auf die heutigen Möglichkeiten und die sehr kurzen Einsatzdistanzen von knapp 20 km vermissen die jungen Kommandanten die ausgemusterte, aber sehr leistungsfähige Kanistermunition.

Höhere Motivation wegen Weltlage

Wie steht es um die Motivation der Truppe: Ist diese gleich oder höher als vor dem Überfall auf die Ukraine? Viel höher, meinten die vier Geschützbatteriekommandanten unisono. Nicht nur die Ukraine, sondern auch die Lage in Nahost, die Bedrohung von Taiwan und ein insgesamt grösser werdendes Unsicherheitsgefühl wirkten sich auf die Motivation extrem aus. «Auch bei einem sehr grossen Teil der Zivilbevölkerung sind wir wieder mehr willkommen als auch schon. Viele winken uns zu, wenn wir mit unseren alten Haubitzen mit unvermeidlichem Lärm und Gestank durch die Dörfer fahren», stellte einer fest.

Artillerie wartet sehnlichst auf Nachfolgesystem

Pz Hb 66 hiess das erste M109-Modell aus den USA mit kurzem Rohr, welches während des Kalten Krieges auch in der Schweizer Armee eingeführt wurde. Vor sage und schreibe über 60 Jahren. Allerdings wurde diese Panzerhaubitze mehrmals kampfwertgesteigert, erstmals ab 1974 mit längerem Rohr und grösserem Laderaum und dann ab Mitte der 1990er-Jahre mit einem umfassenden Programm zur Nutzungsdauerverlängerung. So wurden damals ein Navigationssystem, ein halbautomatisches Ladesystem und verschiedene Vorrichtungen zur Verbesserung der Sicherheit eingebaut. Zudem wurde ein Ladungsbehälter zur Erhöhung der Dotation an mitgeführten Treibladungen aufmontiert und das gesamte System zur Elektrizitätsversorgung von Fahrwerk und Turm ersetzt. Das vor nunmehr 30 Jahren letztmals im grossen Stil verbesserte System wurde dank INTAFF-Feuerleitunterstützung und moderneren, integrierten Funkgeräten zusätzlich kampfwertgesteigert.

Heute beträgt die praktische Einsatzdistanz rund 20 km. Diese war mit der Kanistermunition einmal etwa 7 km länger. Diese sehr wirkungsvolle Munitionsart hat mit der Ausserdienststellung im Zuge der Umsetzung des Übereinkommens über Streumunition die Fähigkeit der Artillerie stark eingeschränkt. Die verfügbaren konventionellen Stahlgranaten wirken nur ungenügend gegen gepanzerte Ziele. Sie genügen auch den Anforderungen an eine präzise Feuerunterstützung im überbauten Gelände nicht, ebenso wenig die Suchzündermunition SMArt 155, die primär auf die Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge im offenen Gelände ausgelegt ist. Der neue Mörser soll hier, insbesondere im überbauten Gelände, bald erste Abhilfe schaffen. Gemäss aktueller Planung «Boden» des VBS soll die heutige Panzerhaubitze noch bis 2030 im Einsatz bleiben. Eine nochmalige Verlängerung bis 2035 steht zur Diskussion, eine noch sehr lange Zeit angesichts der hohen Anfälligkeit dieser Geschütze.

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